Historie

Begrüßungskomittee am Tag der Eröffnung der Erstaufnahmeeinrichtung am Nordmarksportfeld.

Die Bilder aus den Nachrichten über das Leid der Flüchtlinge, die ihre Häuser und Heimat verloren haben und sich wegen Krieg und Leid auf den beschwerlichen Weg ins sichere Europa gemacht haben, haben uns alle tief berührt. Es waren Bilder von Unmengen von Menschen auf der Flucht, die teilweise unter Lebensgefahr die Meere überquert haben und bei Wind und Wetter trotz aller Widerstände ihren Weg zu uns fortgesetzt haben. Viele haben dabei Angehörige verloren und kommen hier vollkommen erschöpft und traumatisiert an. Plötzlich sind die Bilder aus den Nachrichten ganz real und ganz nah. Es passierte und passiert immer noch. Hier und jetzt vor unserer Nase. Sofort war klar, dass hier geholfen werden musste.

Am 23.08.2015 wurde nach dem Vorbild der Hamburger Initiative #HHhilft und der tollen Arbeit in der Kleiderkammer Messehallen in Hamburg die Bürgerinitiative “Kiel hilft Flüchtlingen” gegründet. Für die bessere Koordination wurde eine Facebookgruppe mit gleichem Namenerstellt. Freunde wurden eingeladen sich der Gruppe anzuschließen. Diese Freunde luden wiederum Freunde ein, die wiederum Freunde einluden. Eine Kieler Welle der Hilfsbereitschaft kam ins Rollen. Bereits am Abend des 23.08.2015 waren einige hundert zusammengekommen, die allesamt den Menschen, die hier in Kiel Zuflucht suchen, helfen wollten.

Nach ein paar Tagen zählten wir bereits über 1.000 Mitglieder. Wir entschlossen uns, die erste Spendenannahme zu organisieren. Diese fand dann am 29.08.2015 vor dem “Ahoi” am Blücherplatz statt. Es kamen einige Kartons mit Sachen zusammen. Sogar die Kieler Nachrichten berichteten über uns. Danach ging alles schnell! Sehr schnell! Die ohnehin schon große Hilfsbereitschaft explodierte förmlich. Innerhalb von kürzester Zeit waren wir 2.000 Mitglieder. 2 Tage später 3.000…4.000. Wir merkten, dass das groß wird. Und es wurde sehr schnell sehr groß. Es mussten Strukturen her und zwar schnell. Also teilten wir die Gruppe in Untergruppen auf. Es entstanden die Bereiche Public Relations/Akquise, Sport und Gesundheit, Freizeitgestaltung, Sortieren und Ausgeben von Spenden und Logistik – Spenden abholen. In diesen Untergruppen konnten wir dann ein wenig Übersichtlichkeit in die Menge der Anfragen und Angebote bringen. Dies funktionierte gut. Sehr gut sogar.

Schnell wuchsen wir noch weiter. Gefühlt haben wir die Hälfte der Kellerräume und Garagen Kiels mit Spendenkartons vollgestellt. Wir brauchten dringend mehr Platz. Viel mehr Platz. Also fragten wir in der Hauptgruppe nach einer Lagerhalle. Es meldete sich Enrico Waehnke, der uns einen Großteil seiner Lagerhalle in der Gärtnerstraße 55 mit einer Selbstverständlichkeit zur Verfügung stellte, als sei das keine große Sache. Wir hatten nun also einen Ort, an dem wir unsere Spenden annehmen und sortieren konnten. Und das taten wir.

“Wir” waren mittlerweile über 5.000 Leute. Zeitgleich arbeiteten bis zu 50 Helfer gleichzeitig im Lager. Parallel hierzu wurde die Erstaufnahmeeinrichtung am Nordmarksportfeld eröffnet… aufgrund der Lage weit vor dem Termin. Trotzdem schafften wir es noch, den ersten ankommenden flüchtenden Menschen einen herzlichen Empfang zu bereiten. Wir suchten den Kontakt zum Deutschen Roten Kreuz, welches die Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung übernommen hatte und boten unsere Hilfe an. Hierbei war von Anfang an wichtig, dass wir keine Parallelstrukturen aufbauen, sondern die bestehenden Strukturen der Hilfsorganisationen, der Stadt und der Behörden unterstützen und bei Bedarf in enger Kooperation ergänzen.

Wir vereinbarten mit dem DRK, dass wir Spenden sammeln und diese dann sortieren und nach Bedarfsanfrage an die Erstaufnahmeeinrichtung ausliefern. Dazu vermittelten wir freiwillige Helfer, die bei der Kleiderausgabe tatkräftig Unterstützung leisteten. Das System bewährte sich und das DRK schöpfte Vertrauen in unsere Strukturen und Hilfsbereitschaft. Wir wuchsen weiter und es mussten zusätzliche Lagerflächen her. Wir kontaktierten die Stadt Kiel und erfragten, ob es möglich wäre, uns Lagerflächen und Arbeitsraum zur Verfügung zu stellen. Die Stadt empfing uns mit offenen Armen und stellte uns nach kurzen, unproblematischen Verhandlungen das zuvor leerstehende Gebäude des alten “Greenfields” zur Verfügung, das wir sodann ebenfalls nutzen konnten. Auch die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel stellte uns in kürzester Zeit Lagerflächen zur Verfügung.

Viele Unternehmen in Kiel stellten uns Räume zum Zwischenlagern bereit. Sogar eine Kindertagesstätte räumte einen Bereich, an dem wir 40 Paletten mit Spenden lagern konnten. Das ganze Land war auf uns aufmerksam geworden. Das Fernsehen und die Zeitungen berichteten über uns. Wir hatten mittlerweile über 10.000 Mitglieder. Der Oberbürgermeister lobte unser Engagement und sandte uns sogar ein Grußwort.

Wow, der Oberbürgermeister hatte uns gerade als “die größte Bürgerinitiative, die Kiel zur Zeit hat und vielleicht jemals hatte” bezeichnet.

Der THW Kiel hat unsere Helfer und Flüchtlinge zu einem Champions-League Spiel eingeladen und hat für uns Spenden gesammelt. Viel Zeit unseren Erfolg zu feiern hatten wir jedoch nicht. Gerade als alles unter “Kontrolle” gebracht schien, wurden wir vor eine vollkommen neue Herausforderung gestellt. Viele der flüchtenden Menschen wollten gar nicht in Deutschland bleiben, sondern wollten über Kiel per Schiff nach Schweden, Norwegen und Finnland weiterreisen. Täglich kamen Hunderte von Menschen mit dem Zug in Kiel an und wollten Tickets für die Überfahrt kaufen. Es kamen aber mehr Menschen, als die Schiffe täglich transportieren konnte. Und so strandeten flüchtende Menschen in Kiel und mussten versorgt werden.

Vollkommen überrascht von der Situation organisierten wir bereits am ersten Tag eine Übernachtungsmöglichkeit für die in Kiel “gestrandeten” Menschen. In Zusammenarbeit mit der Polizei, der Kieler Verkehrsgesellschaft, dem DRK, dem Netzwerk Antirassistischer Arbeit (NARA) und der “alten Muthesius” konnten wir 105 Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung eine Übernachtung ermöglichen. Weitere 90 Menschen fanden in der alten Muthesius eine Nachtunterkunft. Ca. 40 Personen wurden von der Polizei in eine andere Einrichtung in Lübeck gebracht. Am Folgetag setzten wir uns mit der Stadt Kiel, der Landespolizei, der Berufsfeuerwehr, den Hilfsorganisationen und anderen Hilfs-Initiativen zusammen und entwarfen ein Konzept zur Bewältigung der großen Herausforderung.

Die Stadt Kiel mietete die alte Markthalle am Bootshafen als Notunterkunft an. Die Berufsfeuerwehr übernahm den Betrieb und schaffte Übernachtungsmöglichkeiten für über 300 Menschen. Der Ostsee-Terminal diente als Alternative zur Notunterkunft. Wir belieferten Tag und Nacht die Notunterkünfte mit Wasser, Decken und Isomatten. Das NARA stellte eine Dauer-Präsenz am Hauptbahnhof und versorgte die Menschen dort mit Lebensmitteln und Informationen. Das NARA übernahm gemeinsam mit der alten Muthesius ebenfalls die Lebensmittelversorgung der Geflüchteten am Ostsee-Terminal, der schnell als Tagesunterkunft diente.

Wir übernahmen die Versorgung mit Decken, Kleidung und Isomatten am Ostsee-Terminal sowie die Versorgung mit Snacks und Informationen am Stena-Terminal. Darüber hinaus konnten wir sogar eine Kinderunterhaltung am Terminal etablieren. Das im Schwedenkai ansässige Restaurant “Längengrad” stellte täglich eine Suppe zur Verfügung, wodurch sich die Geflüchteten auch dort stärken konnten.

Unser Engagement für die Erstaufnahmeeinrichtung lief parallel hierzu weiter. Wir vereinbarten mit der Stadt Kiel und den Hilfsorganisationen, dass die Berufsfeuerwehr bei dem Betrieb der Markthalle als Notunterkunft unterstützt werden muss. In einer Kooperation mit dem DRK, den Maltesern, den Johannitern, dem ASB und uns entwarfen wir ein Konzept zum Einsatz von 16 ehrenamtlichen Helfern pro Nacht aus einem Pool von über 120 Mitgliedern von Kiel hilft Flüchtlingen.

Wir dürfen nach 6 Wochen stolz ein Resümee ziehen (Stand 10.10.2015):

  • Über 11.000 Mitglieder.
  • Mehr als 600 ehrenamtliche Helfer koordiniert im Einsatz bei der aktiven Flüchtlingshilfe. Davon bis zu 100 zeitgleich.
  • Versorgung von Flüchtlingseinrichtungen in ganz Schleswig-Holstein, u.a. EAE Nordmarksportfeld, Notunterkunft Markthalle, Notunterkunft Ostsee-Terminal, Gemeinschaftsunterkunft Friedrichsort, Gemeinschaftsunterkunft Dietrichsdorf, Einrichtung Hof Hammer, Gemeinschaftsunterkunft Elmschenhagen, Gemeinschaftsunterkunft Russee, EAE Neumünster, EAE Albersdorf, EAE Boostedt, Flüchtlingsunterkunft Salzau.
  • Lagerbestand: 80.000 Kleidungsstücke, Über 1.100 Kartons Hygieneartikel, 2.700 Bettwäscheartikel, 677 Kartons Babysachen, 250 Schreibwarenartikel, 4.150 Schuhe, 140 Koffer und Taschen.

Das verstehen wir in Kiel unter gelebter Hilfsbereitschaft!

Danke Kiel!